Gewalt gegen Einsatzkräfte: Warum Retter und Helfer zunehmend angegriffen werden
Veröffentlicht: Montag, 28.04.2025 11:48
Gewalt gegen Einsatzkräfte in NRW steigt. Professor Jonas Rees erklärt, warum die Pandemie ein Wendepunkt war und Vertrauen in Institutionen entscheidend ist.

In Nordrhein-Westfalen und ganz Deutschland steigt die Gewalt gegen Polizei, Feuerwehr und andere Einsatzkräfte. Professor Jonas Rees von der Uni Bielefeld erklärt, warum die Pandemie ein Wendepunkt war – und warum Vertrauen in staatliche Institutionen so entscheidend ist.
Übergriffe auf Helfer nehmen deutlich zu
In einer Themenreihe zur "Woche für mehr Respekt im Dienst" beleuchtet José Narciandi die wachsende Bedrohung für Einsatzkräfte. Professor Jonas Rees, Psychologe an der Universität Bielefeld, bestätigt im Gespräch, dass die Zahl der tätlichen Angriffe auf Vollstreckungsbeamte und vergleichbare Berufsgruppen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist.
Wie Rees erklärt, zeigt die polizeiliche Kriminalstatistik einen alarmierenden Trend: Waren es 2018 noch rund 17.600 Fälle, stieg die Zahl 2023 auf etwa 24.800. Besonders auffällig sei dabei der Anstieg nach der Corona-Pandemie. Zwischen 2021 und 2022 kletterten die Zahlen sprunghaft von 20.000 auf 23.000 Delikte.
"Die Pandemie könnte als eine Art Trendbruch wirken", so Rees, auch wenn noch nicht sicher sei, ob der Anstieg dauerhaft bleibt.
Gewalt als Spiegel einer veränderten Gesellschaft
Rees verweist darauf, dass der Anstieg der Übergriffe Teil einer allgemeinen Zunahme von Gewaltkriminalität sei. Seit der Pandemie seien Körperverletzungsdelikte insgesamt deutlich häufiger geworden.
"Es scheint, als sei die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft insgesamt gestiegen", sagt der Wissenschaftler. Allerdings gebe es spezifische Risikofaktoren: Uniformierte Menschen, die den Staat repräsentieren, wie Polizisten oder Mitarbeitende von Ordnungsämtern, seien besonders oft Ziel von Angriffen.
Warum gerade Menschen in Uniform im Fokus stehen
Der Kern des Problems liegt laut Rees in der Rolle der Einsatzkräfte selbst: Sie müssten im Rahmen ihres Berufs häufig Freiheitsbeschränkungen durchsetzen, etwa Platzverweise aussprechen oder Festnahmen vollziehen. Diese Eingriffe in persönliche Freiheiten könnten starke emotionale Reaktionen hervorrufen.
"Wenn Menschen Maßnahmen als ungerechtfertigt oder überzogen empfinden, reagieren sie oft aggressiv", erklärt Rees. Dazu komme ein zunehmendes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen, das während der Corona-Pandemie befeuert worden sei.
Corona-Pandemie als Katalysator für Misstrauen
Die Corona-Jahre haben bestehendes Misstrauen in vielen Teilen der Bevölkerung verstärkt. Rees erläutert, dass neue Gruppierungen entstanden seien, die sich durch eine generelle Ablehnung staatlicher Maßnahmen definieren.
"Dieses Misstrauen ist nicht einfach verschwunden", so Rees. Stattdessen sei es in manchen Milieus tief verankert und schlage sich in einer sinkenden Akzeptanz gegenüber Behörden und ihren Repräsentanten nieder – bis hin zu offener Aggression.
Gruppendynamiken verschärfen das Problem
Ein weiteres Phänomen, das Rees hervorhebt: In Gruppensituationen wie Demonstrationen oder Großveranstaltungen sinke die Hemmschwelle für Gewalt. Anonymität in der Masse, emotionale Ansteckung und veränderte soziale Normen könnten dazu führen, dass selbst unbeteiligte Zuschauer in Übergriffe verwickelt werden.
"Wenn Aggression gegenüber Einsatzkräften toleriert oder sogar beklatscht wird, steigt die Bereitschaft, sich ähnlich zu verhalten", erklärt Rees.
Vertrauen wiederherstellen: Ein langer Weg
Einfache Lösungen sieht Jonas Rees nicht. Der Aufbau von Vertrauen in staatliche Institutionen sei ein langwieriger Prozess. Er fordert mehr Transparenz und offene Kommunikation von Behörden sowie Räume für konstruktiven gesellschaftlichen Dialog.
Kurzfristig könnten Deeskalationsstrategien und gezielte Schulungen für Einsatzkräfte helfen, das Risiko zu mindern. "Aber eine einfache Lösung gibt es leider nicht", resümiert Rees.